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Thematische Rollen
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__TOC__ Durch die Phrasenstrukturen haben wir einen Eindruck davon bekommen, wie Sprachen an ihrer Oberfläche aufgebaut sind. Dabei sind wir aber immer allgemein von den Nominalphrasen ausgegangen und haben hingenommen, ohne es weiter auszuführen, dass diese Phrasen an bestimmten Stellen im Strukturbaum stehen. Bei der Kongruenz haben wir auch schon die grammatischen Funktionen Subjekt und Objekt kennen gelernt. Das funktioniert für alle indo-germanische Sprachen wunderbar, aber es gibt auch andere Sprachen, bei denen wir uns mit Subjekt und Objekt leicht verheddern können. Baskisch ist da ein gutes Beispiel, oder Yupik (eine Eskimosprache): ''Angute-m qunsgiq neraa.'' Mann-ERG Rentier-ABS isst Das Beispiel aus dem Yupik zeigt uns die Problematik genauer. Wir würden wahrscheinlich instinktiv sagen, dass ''Mann'' das Subjekt ist. Ein Yupik würde sich darüber aber wundern. Am leichtesten ist es, sich den Kasus näher anzuschauen. Das Yupik hat keinen Nominativ und keinen Akkusativ, sondern die Kasus Ergativ und Absolutus. In einfachen Sätzen steht der Absolutus an der Stelle unseres Nominativs. Im Beispiel oben rutscht der Absolutus aber an die Stelle, an der der Akkusativ im Deutschen stehen würde. Wie das genau funktioniert und welche anderen Möglichkeiten es noch gibt, wirst du (hoffentlich) verstehen, wenn du dieses Kapitel durch hast. Und damit wären wir auch schon beim Thema, dem Kasus. Jeder hat die Kasus in der Schule durchgenommen, von denen zwei hier schon genannt worden sind und über die auch schon breit im Kapitel über das Substantiv referiert wurde. Dieser Kasus ist wie das Blatt einer Seerose an der Oberfläche sichtbar, weshalb er auch als Oberflächenkasus bezeichnet wird. Aber wie das Blatt, hängt auch unser Oberflächenkasus an einem Stiel, der in die Tiefe reicht, dem Tiefenkasus, oder leichter verständlich, die thematische Rolle.* Jede Nominalphrase hat seine Rolle im Satz, der eine tut etwas, mit dem anderen wird etwas getan. Ähnlich wie beim Oberflächenkasus, kann es in den Sprachen unterschiedlich viele Rollen geben. Die unten stehenden Rollen bieten nur einen Überblick, da verschiedene Sprachen verschiedene Rollen haben können und es deshalb keine vollständige Aufzählung aller möglichen Rollen geben kann. Der Mann tritt den Ball. AG PAT Die häufigsten Rollen, die auch in allen Sprachen zu finden sind, sind Agens und Patiens: *'''Agens''' ist im Beispiel der ''Mann''. Er macht etwas (nämlich den Ball treten), ist aktiv, er handelt. *'''Patiens''' ist hier der ''Ball''. Mit ihm wird etwas getan (er wird getreten), er ist das "Opfer" einer Handlung. Weitere häufige Rollen sind: *Der '''Rezipient''' ist der Empfänger einer Handlung. (Der Mann schenkt ''dem Jungen'' den Ball.) *Das '''Thema''' ähnelt dem Patiens, allerdings ohne selbst verändert zu werden. (Der Mann schenkt dem Jungen ''den Ball''.) *Der '''Benefizient''' oder '''Malefizient''' ist derjenige dem zum Nutzen bzw. Schaden eine Handlung durchgeführt wird. (Der Mann öffnet ''dem Jungen'' die Tür.) *Der '''Experiencer''' ist sozusagen ein passiver Agens. Er handelt nicht, sondern erlebt etwas oder nimmt etwas wahr. Das umfasst nicht nur die direkten Sinneswahrnehmungen, sondern auch Zustände, wie "glauben" oder "wollen". (''Der Junge'' sieht den Ball.) *Der '''Stimulus''' ist das, was wahrgenommen wird, ist also eine Art Gegenpart zum Experiencer. (Der Junge sieht ''den Ball''.) *'''Ort''' (Handlungsort), '''Ziel''' (Zielort), '''Quelle''' (Ausgangsort) und '''Pfad''' (Durchgangsort) sind Rollen, die die örtliche Dimension bezeichnen. (Der Junge spielt mit dem Ball ''auf dem Rasen'' [Ort]. Der Junge tritt den Ball ''aus dem Garten'' [Quelle] ''über den Zaun'' [Pfad] ''auf die Straße'' [Ziel].) *Die '''Zeit''' als Rolle bezeichnet den Zeitpunkt oder -raum der Handlung (Der Mann muss ''morgen'' zur Arbeit.) Der zentrale Bestandteil eines vollständigen Satzes ist das Prädikat. Als Prädikat wird derjenige Teil des Satzes bezeichnet, der in sich die Informationen trägt, die nötig sind, um einen vollständigen und grammatisch wohlgeformten Satz zu erzeugen. In ihm steckt also sozusagen ein Bauplan, der uns vorschreibt, welcher Art die restlichen Elemente sein müssen, um in unseren Satz zu passen. Im Deutschen und in nahezu allen anderen Sprachen der Welt sind verbale Prädikate in großer Mehrheit – das Prädikat ist also in Wahrheit ein Wolf – ein Verb im Prädikatspelz – wie auch immer. Denkt euch einfach ein Verb als Kern des Prädikats. In einem Verb sind sozusagen die Rollen als Argumente abgespeichert, die nötig sind, um das Prädikat so zu erweitern, dass ein Satz daraus wird (wobei es obligatorische und fakultative Argumente gibt, aber dazu später mehr). In einem einfachen Aussagesatz gibt es oft eine klare Beziehung zwischen der thematischen Rolle, die das Verb verlangt und dem Oberflächenkasus. So ist im obigen Beispiel "der Mann" im Nominativ und "den Ball" im Akkusativ. Dabei kann man aber nicht einfach vom Kasus auf die Rolle schließen, da z. B. auch der Experiencer im Deutschen im Nominativ und der Stimulus im Akkusativ auftritt. Dazu kommt, dass einige Rollen durch Präpositionen ausgedrückt werden müssen, die ihre eigenen Regeln zur Kasusvergabe haben. Außerdem können Kasus auch vertauscht werden, wie bei Passivkonstruktionen. <small>* Auf die linguistischen Unterschiede zwischen Tiefenkasus und thematischen Rollen braucht man beim Sprachenbasteln keine Rücksicht zu nehmen, vor allem, da das Thema sprachwissenschaftlich kontrovers diskutiert wird.</small> == Valenz und Transitivität == (1) Die Schildkröte und das Krokodil beschlossen eines Tages, schwimmen zu gehen. In obigem Satz gibt es – genau – mehr als nur ein Verb. Drei Stück genau genommen. Die Kunst liegt nun darin, Wortart und Satzglied voneinander zu unterscheiden. Die Wortart eines Wortes bezeichnet seine generelle Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse von Wörtern, hier nun eben die der Verben. Das Satzglied bezeichnet dagegen keine generelle Zugehörigkeit, sondern eine situative Funktion eines Wortes. Eines unser drei Verben oben fungiert in diesem speziellen Satz als Prädikat, die anderen nicht. Stellt euch den Unterschied am besten als den zwischen Rasse und Klasse im Rollenspiel vor. Ein Verbling ist ein Verbling qua Geburt und daran wird sich sein liebes langes Leben nichts ändern. Ob er aber nun sein Lohn und Brot als Subjektor oder Prädikator verdient, ist abhängig von seiner aktuellen Lebenslage und kann sich durchaus ändern. Zwar gibt es nun – um den absurden Vergleich noch weiter zu spannen – auch beim Rollenspiel Rassen, die bestimmte Klassen kaum ausfüllen können, doch ab und an wird auch ein Elf zum Minenarbeiter oder ein Ork zum gerechten Krieger des Lichts. Ebenso sagt man im Bereich der Sprachen, dass Substantive selten als Prädikate fungieren und Verben selten als Subjekte, aber auch das gibt es durchaus. Was lernen wir daraus also? Rollenspielen funktioniert wie Linguistik, Verblinge sind schlechte Subjektoren, und Wortart und Satzglied sind zwei Konzepte, die unbedingt unterschieden werden müssen. Nachdem dies nun geklärt ist, schauen wir uns nochmal den unglaublich geistreichen Beispielsatz an. Unser Prädikatsverb ist hier natürlich ''beschlossen'', und im Gegensatz zu den beiden Infinitiven ''schwimmen'' und ''gehen'' wird es hier flektiert, d.h. es wird durch bestimmte grammatische Prozesse in seiner Form verändert und mit zusätzlichen grammatischen Bedeutungen ausgestattet (z.B. zeigt uns der sog. Ablaut im Vokalismus des Verbs, dass es sich um ein vergangenes Ereignis handelt). Ist das Zufall, dass sich gerade unser Prädikatsverb beugen muss? Nein! Es ist im Gegenteil zentraler Bestandteil seines Wesens als Prädikat, dass es flektiert wird. In jedem Satz sollte es nämlich nur ein flektiertes Verb geben (Ausnahmen finden sich unter [[Serielle Verben]]), und dieses flektierte Verb wird nicht nur finites Verb genannt, sondern ist auch unser gesuchtes Prädikat. ===Die Wertigkeit von Verben=== Kommen wir noch einmal zurück zu unserer eingangs gemachten These, im Prädikat sei ein Bauplan für den restlichen Satz versteckt. Nun, glaub mir, es stimmt wirklich! Wie, siehst du jetzt nicht? Schau dir mal folgende Sätze an: (2) <div style="border:1px solid #AAAAAA; background-color:#F0F0F0; padding:1em 1em 1em; margin: 1em 1em 1em"> Das Krokodil schläft.<br> Das Krokodil schläft die Schildkröte.<br> Das Krokodil schläft der Schildkröte einen Traum.<br> Das Krokodil vermacht der Schildkröte ein rotes Schlauchboot.<br> Das Krokodil vermacht der Schildkröte.<br> Das Krokodil vermacht ein rotes Schlauchboot.<br> Das Krokodil vermacht.<br> Die Schildkröte bemalt das Krokodil.<br> Die Schildkröte bemalt.<br> Die Schildkröte bemalt das Krokodil einen Pinsel.<br> </div> Wie du sicher festgestellt hast, habe ich die Prädikatsverben jeweils unverändert gelassen, aber die anderen Bestandteile des Satzes variieren. Offenbar können wir nicht beliebig Elemente hinzufügen oder weglassen, ohne dass unser Satz komisch (und damit grammatisch falsch) wird. Das Spannende an der Sache ist aber nicht, dass Sprache augenscheinlich kein chaotisches System ist und mit einer Reihe von versteckten Regeln daherkommt, sondern dass sich unsere Prädikate hier nicht gleich verhalten: ''schlafen'' kann ich nur mit einem weiteren Element verbinden, nämlich dem Schläfer, ''bemalen'' dagegen muss ich mit zwei Elementen kombinieren, dem Bemaler und dem Bemalten. Lasse ich eins weg, hört sich der Satz falsch an. Noch erstaunlicher ist hingegen ''vermachen''. Um daraus einen Satz zu basteln, brauche ich auf meiner Einkaufsliste mindestens einen Vermacher und ein Vermachtes, besser noch einen Vermacher, ein Vermachtes und einen glücklichen Bedachten (wer hätte nicht gern ein rotes Schlauchboot?!). Drei Elemente können wir bei den anderen beiden Verben wiederum nicht verwenden. Ihr erratet schon, worauf diese Varianz hinausläuft. Jep, der Bauplan ist schuld. Linguisten stellen sich die Sache etwa so vor: Jedes Verb, das wir lernen und in unserem kognitiven Sprachzentrum abspeichern, besteht nicht nur aus einer phonologischen Form und einer Bedeutung, sondern wir lernen auch eine Art Schablone für jedes Verb mit. Wenn ich ''vermachen'' als Prädikat verwenden will, sagt mir die Verbschablone: Ja, is joot, kannste machen, aber du musst einen Vermacher, etwas Vermachtes und am besten auch noch einen Nutznießer benennen. Machste dat aber nich, dann kannste den Satz vergessen. Ja, so Verbschablonen sind nicht gerade die galantesten Dinger unterm Sternenhimmel, aber immerhin wissen wir nun, wie wir unseren Satz zu konstruieren haben. Umgekehrt weiß ich etwa für ''schlafen'', dass ich einen Schläfer brauche, mich aber lächerlich mache, wenn ich dazu noch einen Geschlafenen (oder Beschlafenen?) benenne. Das, was ich bisher als Element bezeichnet habe, nennt man im Fachjargon ein '''Argument'''. Argumente benennen die Kernpartizipanten eines Satzes. Linguisten sprechen im Fall von ''schlafen'', ''rülpsen'', ''fliegen'', oder ''regnen'' von 1-wertigen Verben, da wir nur ein Argument benötigen, um aus diesen Verben einen funktionstüchtigen Satz zu konstruieren. Witterungsverben wie ''regnen'' sind im Deutschen ein wenig speziell, da sie ausschließlich mit einem bestimmten Argument, mit ''es'', konstruiert werden können, aber wir werten auch das ''es'' als Argument. Die Wertigkeit des Verbs also ist es, die bestimmt, welche und wieviele Argumente im Satz vorkommen. ''Bemalen'', ''lieben'', ''verlassen'', ''kastrieren'' und viele andere schöne Tätigkeiten sind 2-wertig, und einige wenige Verben wie ''geben'', ''stellen'', ''beschuldigen'' sind sogar 3-wertig. Übrigens kann für das Deutsche und andere europäische Sprachen die Regel aufgestellt werden, dass das erste Argument stets das Subjekt sein muss. Subjektlose Verben gibt es nicht. 1-wertige Verben verlangen daher stets ein Subjekt. Bleibt neben dem Subjekt ein weiteres Argument übrig (2-wertige Verben), ist es das sogenannte direkte Objekt. Gibt es daneben noch ein drittes Argument (3-wertige Verben), ist es das indirekte Objekt (obwohl es von seiner Position her betrachtet im Deutschen normalerweise näher beim Verb steht als das direkte Objekt). Man erkennt es zumindest im Deutschen daran, dass es im Dativ steht (doch Vorsicht bei einigen 2-wertigen Verben, deren direktes Objekt ebenfalls im Dativ steht). Bei drei realisierten Argumenten ist das Dativargument im Deutschen stets das indirekte Objekt. ===Transitivität=== Und noch eine wichtige terminologische Hürde ist zu nehmen. 2-wertige Verben werden häufig als '''transitive Verben''' bezeichnet. Der Begriff kommt von lateinisch ''trans-ire'' was soviel wie ‚hindurchgehen, durchschreiten‘ bedeutet. Die Idee ist, dass die Handlung des Verbs von einem „Täter“ – Agens – (Subjekt) ausgeht und dass ein „Opfer“ – Patiens“ – (Objekt) am anderen Ende auf die eine oder andere Weise davon beeinflusst (durchschritten) wird. Mein kleines Schaubild zeigt in etwa, wie die Handlung transitiv das arme Opfer erfasst. '''Intransitive Verben''' sind folglich jene, die nicht transitiv sind, also keine vom Agens initiierte Handlung aufweisen, die Unbeteiligte zu Partizipanten des Geschehens macht. Die Rede ist von unseren schnuckeligen 1-wertigen Verben. Wenn ich schwimme, schlafe oder pfurze, wird davon niemand direkt beeinflusst (auch wenn das im letzten Fall nicht sofort einleuchten mag). Dagegen gibt es deutliche Opfer, wenn ich schlage, beisse oder liebe. Im dritten und letzten Fall spricht man schließlich von '''ditransitiven Verben''' („zwei-transitiven“), die Handlung erstreckt sich bei 3-wertigen Verben also von einem Agens über ein Patiens (was in diesem Fall das direkte Objekt ist!) und schließlich zu einem dritten Partizipanten, den man modern Rezipient oder Ziel nennt. Wenn ich (Agens) dem Poldi (Rezipient) einen Ball (Patiens) gebe, dann ist von der Handlung unmittelbar (direkt!) erstmal der Ball betroffen, und danach der Poldi (indirekt!). Darauf beziehen sich letztlich auch die Attribute direktes und indirektes Objekt. Die Unterscheidung in transitive und intransitive Verben wird uns an anderer Stelle noch beschäftigen, denn durchaus nicht wenige Sprache sind in der einen oder anderen Weise von dieser Unterscheidung genauso fasziniert wie wir gerade und nehmen in ihrer Grammatik an unterschiedlichen Stellen Bezug darauf. --Schaubild-- == Kasussysteme ==
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